Gerade erst haben wir im Jahreszyklus einen Wendepunkt erreicht. Am 21. März haben wir die Tag- und Nacht-Gleiche durchschritten, die Sonne befindet sich dann genau im Frühlingspunkt. Alle Zeichen stehen jetzt auf Aufbruch, aus allen Ritzen dringt das neue Leben. Geschätzt ist die Sonne rund 4,5 Milliarden Jahre alt. Aber auch sie hat ein Verfallsdatum. Man geht heute davon aus, dass es in rund 1,1 Milliarden Jahre bei uns ungemütlich wird, auch ohne menschliches Zutun. Denn das Helium sammelt sich am Mittelpunkt der Sonne, dadurch verdichtet sich der Gaskern, der Druck steigt weiter, die Sonne wird wärmer und heller. Zum Glück ist noch reichlich Zeit, ehe wir uns hierüber wirklich Sorgen machen müssen. Verständlich, dass wir uns davon nicht bedroht fühlen. Das kleine Virus SARS-CoV-2, besser bekannt als das Coronavirus, hat gezeigt, zu welchem Kraftakt die Menschheit fähig ist, wenn wir uns wirklich bedroht fühlen. Innerhalb weniger Tage ist global das öffentliche Leben zum Erliegen gekommen. Wir haben ein radikales globales Notfallprogramm gestartet. Es wird derzeit viel darüber diskutiert und philosophiert, ob diese Krise ein Wendepunkt in unserer Entwicklung sein wird, an dessen Ende nichts mehr so ist wie zuvor. Für mich ist es in jeden Fall ein Wendepunkt der Erkenntnis. Alle Ausflüchte rund um soziale Ungleichheit, Klimawandel, Artensterben etc. sind unwiederbringlich entlarvt. Die Ausrede von Politik und Wirtschaft, das Machbare würde getan, kann und darf es nicht mehr geben. Wir haben gelernt, was möglich ist, wenn die Bedrohung auf einmal Menschen in unserer Mitte trifft. Wir haben gelernt, auch wenn es in unseren Verfassungen anders verankert ist, dass eben doch nicht alle Menschen die gleichen Rechte haben. Nur ein Beispiel: Schätzungen der Vereinten Nationen (UNICEF, 2018) zufolge sterben jedes Jahr rund 5,4 Millionen Kinder unter fünf Jahren. Rund 3 Millionen dieser Todesfälle sind auf die Folgen von Mangel- und Unterernährung zurückzuführen. Das sind etwa 8.200 Kinder unter fünf Jahren täglich oder alle zehn Sekunden ein Kind. Und das sind nur die Kinder unter fünf Jahren! Um diesen Missstand aufzuheben brauchen wir keine neuen Impfstoffe oder Medikamente, wir müssten nichts erfinden, wir müssten noch nicht einmal jemanden etwas wegnehmen. Es bräuchte nur den Willen Lebensmittel, die an einigen Stellen im System überflüssig sind, dort hinzubringen, wo Menschen sie wirklich benötigen. Hier brachte die Corona-Krise eine unangenehme Wahrheit ans Licht: Wir könnten aber wir wollen es nicht, zumindest nicht für diese Menschen, die weitestgehend aus den Ländern des Südens kommen. Gleiches gilt für die Opfer des Klimawandels, der Naturzerstörungen etc.. Das ist für mich der wahre Wendepunkt dieser Krise, der sich hoffentlich in unser kollektives Gedächtnis einbrennt. Wenn die politischen Eliten alles wieder auf „normal“ stellen wollen, dann könnte dieses Wissen tatsächlich der Funke sein, der mehr und mehr Menschen mit demokratischen Mitteln in den Widerstand bringt, um in unseren Verfassungen verankerte Menschen- und Naturrechte kompromisslos einzufordern. Die Antwort: „Das geht nicht!“ ist dann jedenfalls nicht mehr tolerierbar. So könnte aus dieser Krise tatsächlich ein Frühling der Erneuerung erwachsen.

Quellen:

https://www.zeit.de/zeit-wissen/2010/02/Dossier-Kosmos/seite-4

https://www.welthungerhilfe.de/fileadmin/pictures/publications/de/fact_sheets/topics/factsheet-hunger-welthungerhilfe.pdf